Zusammengestellt von Carmen R. Götz (Praktikantin 2011)
ăNamen sprechen lassen̉  

Landgrafen mit ihrer Geschichte kreativ erleben und kennenlernen

Moritz von Hessen-Kassel

1572 - 1632

Ein Zeitzeuge berichtet in einem Brief.

Liebster Freund,

welch schrecklichen Anblick bot mir das verwüstete Hessen-Kassel, meine einstige so vertraute Heimatsstätte!  Sorge dich nicht, mein Guter! Ich bin wohlauf bei meinen Verwandten angekommen, die, Gott sei es gedankt, von der mordlustigen und verrückten Meute, die durch die Lande zieht, verschont geblieben sind. Wer hätte gedacht, dass es zu solch einer Eskalation zweier Konfessionen kommen kann?! Protestanten fechten gegen den katholischen Kaiser an und der antwortet mit aller Gewalt zurück. Ein ständiges, wütendes Hin und Her zwischen kaiserlichen Truppen und protestantischen Bündnissen, aber mit welcher Aussicht? Geht es hier wirklich nur noch um die Verteidigung eines rechten Glaubens oder spielen auch machtpolitische Gründe eine Rolle?

Wenig Hoffnung wird uns Landgraf Moritz von Hessen geben können! Schon längst ist der kulturelle Glanz, den Moritz nach Hessen brachte, verblasst und vergessen! In meiner Kindheit schlenderte ich gerne durch die Residenzstadt Kassel und bekam die festlichen Aufzüge und Ritterspiele des Landgrafen mit.  Moritz liebte den kulturellen Genuss und gab dafür sorglos das Geld aus. Bei meinem Wanderausflug nach Haydau ließ er gerade das ehemalige Zisterzienserinnenkloster in ein Schlösschen umbauen. Dort soll sich auch der festliche Engelsaal befinden, wo getanzt, gespielt und gelebt wurde.

Während mir der Blick in den Engelsaal verwehrt blieb, konnte ich mich immerhin am schmucken Ottoneum in Kassel erfreuen. Während Theatergruppen immer wieder ihre Bühnen aufbauen und abbauen mussten, ließ der Landesherr dieses erste feststehende Theatergebäude auf deutschem Boden errichten. Doch wie du weißt, bin ich eher ein Freund der Musik als des Schauspiels. In Dresden konnte ich mir vor kurzem ein Konzert von Heinrich Schütz zu Gemüte führen, der von Moritz sehr gefördert worden ist.  Schütz wurde wie ich in das von Moritz gegründetem Collegium Mauritianum aufgenommen, eine anerkannte Bildungsstätte in Kassel. Hier erhalten die jungen Köpfe eine klassische Ausbildung, in der die Musik nicht fehlen darf. Komponierte und dichtete Moritz von Hessen ja selbst! Nicht zu vergessen sei sein Sprachentalent, beherrschte er doch acht Sprachen und zeigte sich den Naturwissenschaften sehr zugewandt. Es ist nicht unbeachtlich, welch sprühendes Leben dieser Gelehrte der Stadt Kassel und Umgebung eingehaucht hat. Aber wie wenig Gespür zeigte er in Politik und Wirtschaft!

Wie oft sprachen wir am Stammtisch über diesen leidlichen Erbstreit um Hessen-Marburg! Viele Freunde hatte sich Moritz in der Politik wahrlich nicht gemacht. Nach dem Tode seines Großvaters Philipp dem Großmütigen wurde das Land Hessen unter dessen Söhne geteilt. So entstanden die Landesteile Hessen-Kassel, Hessen-Marburg und Hessen-Darmstadt. Als Ludwig IV, Regent von Hessen-Marburg, ohne Nachkommen verstarb, begann der endlose Erbstreit zwischen ihm und seinem Verwandten aus der Darmstädter Linie um Marburg.  Ein langjähriger, militärisch ausgetragener Streit um das Marburger Erbe sollte entbrennen.

War aber dieser Streit erst der Beginn eines ständigen politischen Ränkespiels. Die Darmstädter wandten sich gar an den deutschen Kaiser, um ihr Ansinnen durchzusetzen. Moritz suchte ausgerechnet Unterstützung bei Friedrich V., der dem jetzigen Kaiser Ferdinand die Krone um Böhmen streitig gemacht hatte. Wie es enden musste, konnte sich jeder denken! Friedrich und sein protestantisches Heer erlitten eine schwere Niederlage gegen die kaiserlichen Truppen. Aber wie blauäugig fuhr Moritz fort! Er ließ es zu, dass Friedrichs Horden Darmstadt eroberten und den Landgrafen von Hessen-Darmstadt in Gefangenschaft nahmen. Die Folge war, dass die kaiserlichen Truppen unter dem Feldherrn Tilly in Hessen-Kassel einrückten. Moritz gelang die Flucht, aber der Großteil der Bevölkerung wurde der Verwüstung und der Gewalt ausgeliefert.  Und genau dieses traurige Bild muss ich nun erblicken!

Moritz wurde vor wenigen Tagen abgesetzt. Sowohl den Kaiser, seine Verwandten, die Ritterschaft und natürlich seine Untertanen hatte er sich zum Feind gemacht. Wie soll aus dieser sozialen, politischen und wirtschaftlichen Krise wieder ein prachtvolles Hessen gestemmt werden, das ich einst kannte? Der Staat ist bankrott. Man munkelte, dass Moritz sogar Versuche des Goldmachens angestellt habe - ob es nur das Interesse zu alchemischen Experimenten war oder doch ein Zeichen seiner verzweifelten Lage?

Verzeih, dass ich dich mit diesem überdrüssigen Gerede belaste! Doch, mein Freund, du sagst doch selbst, dass solche Ereignisse nie unbedeutend bleiben. Prägen sie doch den Verlauf weiterer anbrechender Zeiten und werden vielleicht einst in Geschichtsbüchern zu lesen sein. Vielleicht wird dabei auch der Name des Landesherren Moritz auftauchen - ein durchaus begabter Kulturliebhaber, aber auch ein Fürst, der den politischen Herausforderungen seiner Zeit nicht gewachsen war.

Wie die Zeiten wohl für uns beide in Zukunft aussehen werden? Ich warte schon sehnsüchtig auf deine Antwort aus diesem Amerika! Berichte mir mehr darüber.

Ich grüße dich herzlich, bleibe mir stets wohlgesonnen.

C. R. Götz