Johann Sutel (1504 - 1575) - evangelischer Theologe und Reformator
von Otto Wohlgemuth
Dr.phil. Ludwig Armbrust, Leiter der Henkelschen Lehranstalt in Melsungen und Verfasser der im Jahre 1905 erschienenen "Geschichte der Stadt Melsungen" hat sich ausgiebig mit dem Leben des Theologen Johann Sutel befasst. In der Zeitschrift "Hessenland" aus dem Jahr 1902 beginnt er seinen Beitrag "Der Reformator Johann Sutel" mit der Einleitung: "Ein Prophet ohne Jünger ist ein Stern ohne Strahlen, er bleibt unsichtbar und unwirksam für weitere Kreise. So haben denn die großen Pfadfinder, die führenden Geister der Weltgeschichte, eine Anzahl von tüchtigen Mitarbeitern nötig, die von der Hauptstraße aus die Nebenwege anlegen und die neuen Gedanken in die tieferen Schichten des Volkes tragen."
Ohne Zweifel: Der im Jahr 1504 in Altmorschen geborene Johann Sutel war einer der großen Kirchenreformer des 16. Jahrhunderts. Seine engen Kontakte zu Martin Luther (l.), Philipp Melanchthon (M.) und Landgraf Philipp (r.) sind vielfach dokumentiert. Unter anderem auch durch Dokumente, deren Kopien das Stadtarchiv Schweinfurt dem Arbeitskreis Ortsgeschichte Morschen überlassen hat.
(von ihm selbst existiert leider keine Abbildung)
Sutels Jugendjahre
Armbrust vermutet in seinem Beitrag, dass Sutel aus bescheidenen Verhältnissen stammt. Waltari Bergmann dagegen schreibt in "Tausendjähriges Morschen", dass er im hiesigen Kloster Haydau "wohl als Sohn des Klostervogtes" geboren wurde.
"die Heide"
Eine Darstellung des Flusslaufes der Fulda aus dem Jahr 1597
Älteste bekannte Abbildung des Klosters Haydau
(Fuldakarte des Jan Moers ?, Ausschnitt Ortslage Morschen, Staatsarchiv Marburg, Karten R III 7)
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Seine Schuljahre verbrachte er in Melsungen. Hier war sein wohlhabender Verwandter Konrad Sutel Priester an der Stadtkirche. Bereits 1518, mit vierzehn Jahren, trug Johann sich in die Studentenliste der Universität Erfurt ein - damals durchaus üblich. Und schon 1524 ist sein Abschluss mit dem Magisterexamen an der Philosophischen Fakultät registriert (Magisterexamen Universität Erfurt ). Sein Fleiß und seine Begabung müssen auch seinen Melsunger Verwandten beeindruckt haben. Von ihm erhielt er nicht nur eine jährliche Unterstützung von 20 Gulden. Er machte ihn auch zu einem seiner Testamentsvollstrecker. Nicht wirklichen Gefallen fand Priester Konrad daran, dass Johann bei seiner Rückkehr nach Melsungen sich in seine Cousine Gude verliebte und diese gegen alle Widerstände um 1526 heiratete, obwohl das kanonische Recht eine Ehe unter nahen Blutsverwandten verbot. Dennoch wurde der junge Magister der erste evangelische Rektor der Melsunger Schule und lehrte hier bis 1530. In dieser Zeit war er auch Gehilfe (Adjunctus) des Haydauer Pfarrers Johannes Maußheupt (Waltari Bergmann). Und hier begann auch seine lebenslange Freundschaft mit Johannes Lening, dem letzten Prior in der Karthause, dem Kloster Eppenberg unterhalb des Heiligenbergs. Lening war der erste evangelische Geistliche in Melsungen und wurde einer der einflussreichsten Ratgeber Landgraf Philipps des Großmütigen. Lening war es auch, der den Landgrafen auf die außergewöhnlichen Fähigkeiten Sutels aufmerksam machte.
Sutel in Göttingen
Landgraf Philipp, einer der bedeutendsten Landesfürsten im Zeitalter der Renaissance und Vorkämpfer für die lutherschen Reformen, war nach Einführung des protestantischen Glaubens in Hessen nach der Homberger Synode 1526 bemüht, die reformierte Kirchenordnung auch außerhalb seiner Landgrafschaft durchzusetzen. Hierzu hatte er die Pfarrer Jost Winther nach Göttingen und Anton Corvin in die freie Reichsstadt Goslar entsandt. Beide setzten sich beim Landgrafen dafür ein, Johann Sutel auf dessen Wunsch nach Göttingen zu beurlauben. Hier trat er 1530 seine Stelle an - allerdings noch ohne Priesterweihe. "Martin Luther selbst zerstreute seine Bedenken: wenn man in Göttingen kein Gewicht darauf lege, so solle er auch fürderhin den Tisch des Herrn ungeschoren und ungesalbt verwalten." (L. Armbrust).
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St. Johannis-Kirche
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Kirche Sankt Nikolai
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Seine Antrittspredigt hielt Sutel in der Johanniskirche, seine Wirkungsstätte war zunächst Sankt Nikolai, die heutige Universitätskirche. Im katholischen Göttingen hatten Winther und Sutel keinen leichten Stand. Die Priesterschaft und besonders die franziskanischen Barfüßermönche waren nicht ohne weiteres geneigt, die alte Ordnung aufzugeben. Sutel und Winther legten in 28 gedruckten Artikeln die Grundlagen des evangelischen Glaubens fest. Unter anderem wurde darin der weltlichen Obrigkeit ein Befehlsrecht über die Priesterschaft zugestanden. Die öffentliche Auseinandersetzungen über ihre Thesen waren so heftig, dass Winther und Sutel eine Zeit lang um ihr Leben fürchten mussten und nachts durch Wachen geschützt wurden.
Winther ging 1531 in die Landgrafschaft Hessen zurück. Sutels Ansehen wuchs ständig. Sein Wirken beeindruckte die Göttinger und seine Predigten fanden solchen Beifall, dass er die über das Thema "Das Evangelium von der grausamen, erschrecklichen Zerstörung Jerusalems " gedruckt herausgab, mit einem Vorwort Luthers. Sutel ist es in erster Linie zu verdanken, dass sich in Göttingen die reformatorischen Gedanken Luthers durchsetzten. 1535 wurde er als Superintendent mit der Aufsicht über die städtischen Kirchen und Schulen berufen, und 1537 übernahm er das Pfarramt an der Göttinger St. Johannes-Kirche. Sutel muss ein unbequemer Vorgesetzter gewesen sein. Er selbst legte die Messlatte für die Erfüllung seiner eigenen Amtspflichten sehr hoch. Gleiches erwartete er von seinen Mitbrüdern. Nicht allen gefiel das. Ältere fühlten sich von dem jungen Superintendenten bevormundet. Auch persönliche Diffamierungen musste er sich gefallen lassen. Johann Sutel hielt es nicht länger in Göttingen.
Sutel in Schweinfurt
Die freie Reichsstadt Schweinfurt hatte Landgraf Philipp gebeten, eine geeignete Persönlichkeit aus der Landgrafschaft zu entsenden, um auch dort Luthers Gedankengut umzusetzen. Sutels Freund, der Melsunger Pfarrer Johannes Lening, wusste wohl von dessen Ärger mit den Göttingern und empfahl dem Landgrafen seinen Landsmann. Philipp bestellte ihn umgehend zu einem Gespräch nach Spangenberg. Hier erklärte Sutel sich bereit, dem Ruf nach Schweinfurt zu folgen. Vermutlich nicht nur wegen seiner Enttäuschung über die Göttinger und auf Drängen des Landgrafen: Sutel litt in Göttingen unter chronischem Geldmangel und war mit 50 Gulden beim Rat der Stadt verschuldet. Der Rat der Stadt Schweinfurt zeigte sich wesentlich großzügiger. Ihm wurde ein Jahresgehalt von 200 Gulden zugesagt und zusätzlich noch 18 Eimer Frankenwein, 10 Malter Korn, freie Wohnung und freies Holz. Als die Schweinfurter auch noch seine Schulden ablösten, mussten die Göttinger ihn schließlich ziehen lassen. Immerhin stellten sie ihm ein Zeugnis aus, "worin sie seinen reinen Wandel und seine evangelische Predigt rühmten und ihn zur Rückkehr nach Göttingen einluden" (L. Armbrust) Landgraf Philipp hatte Pfingsten 1542 in einem eigenhändigen Schreiben an Sutel die Schweinfurter Zusagen noch einmal bestätigt und ihn wissen lassen, dass er dort dringlich erwartet werde. "Ir werdet auch deß orts guete gesellschaft erlangen, denn ettlich da umbher von adel seindt, so Eur schuelgesellen gewesen, die Eurer hoch begehren." (A. Am 19.Juli 1542 hielt Sutel seine erste Predigt in der Kapelle des verlassenen Karmeliterklosters und übernahm am 21.September des gleichen Jahres die Pfarrstelle in der St.Johannis-Kirche.
Am 19.Juli 1542 hielt Sutel seine erste Predigt in der Kapelle des verlassenen Karmeliterklosters und übernahm am 21.September des gleichen Jahres die Pfarrstelle in der St.Johannis-Kirche.
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Die Schweinfurter Kirchen
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Johann Sutels Einführung in die Pfarrkirche zu St. Jonannis am 21. Sept. 1542
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Bilder aus "M. Johannes Sutellius"
H.Cr. Beck (1842)
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Auch in Schweinfurt musste er sich gegen die etablierte Priesterschaft durchsetzen, konnte sich aber der Unterstützung durch den Rat und die Bürgerschaft sicher sein. Seine starke Persönlichkeit verschaffte ihm in Schweinfurt und Umgebung hohes Ansehen.
Schon im Herbst seines ersten Jahres brach in der Stadt die Pest aus und musste er seine Gemeinde trösten. In dieser Zeit entstanden seine - später gedruckten - "Zwölf Predigten vom armen Lazarus", die von Melanchthon wegen ihrer einfachen und natürlichen Darstellung gelobt wurden. Und bereits 1543 erschien seine "Schweinfurter Kirchenordnung", die in den Folgejahren maßgebend für die Schweinfurter Geistlichkeit war. Ein Ersuchen des Göttinger Rates an den Hessischen Landgrafen, den Pfarrer Sutel wieder zurück zu beordern, lehnte Philipp im Oktober 1543 mit der Begründung ab, dass dieser " nicht allein die Bürger und den gemein Mann in Schweinfurt an sich hangen habe, sondern auch außen um Schweinfurt herum der Adel und Bauersmann alle große Neigung zu ihm haben, also daß er mit seinen Lehren und Verkündigungen des Evangelii viel Leute bewegen und zu der Erkenntnis Gottes bringen und viel Gutes ausrichten werde." (L. Armbrust). Doch der Schmalkaldische Krieg zwischen Kaiser Karl V. und den protestantischen Landesfürsten und Städten veränderte auch die Machtverhältnisse in Schweinfurt. Die freie Reichsstadt löste sich auf Drängen des Kaisers von den Verbindungen zur Landgrafschaft Hessen. Johann Sutel musste mit Verfolgung rechnen. Er ließ sich einen Reisepass nach Göttingen ausstellen und traf hier am 8. Januar 1547 als Flüchtling ohne seine Familie ein.
Drei Jahrhunderte später befasste sich der Schweinfurter Pfarrer Heinrich Christian Beck in der "Festschrift zur 300jährigen Jubelfeier der Einführung der Reformation in Schweinfurt" mit dem Leben und Wirken Johann Sutels. In seinem Beitrag zur Reformationsgeschichte hält er fest: "Die Begründung der evangelischen Lehre in Schweinfurt durch Sutellius, sein über das Gewöhnliche hinausreichendes, tiefes Eindringen in den Geist des Evangeliums, seine richtige und klare Erkenntniß der geistigen Bedürfnisse des Menschen, seine Gabe, das so Gewonnene auf eine eben so eindringliche als angenehme Weise darzustellen, und überhaupt sein Wirken als Prediger des göttlichen Wortes an fünf verschiedenen Orten, seine persönliche Ehrwürdigkeit und seine Verbindungen, in denen er mit vielen, ja den ersten Theologen seiner Zeit gestanden, eignen ihm eine nicht gering zu achtende kirchengeschichtliche Bedeutung zu."
Sutel in Allendorf, wieder in Göttingen und seine letzte Station in Northeim
Sutels Hoffnung, auf Grund früherer Zusagen sofort wieder in Göttingen eingestellt zu werden, erfüllten sich nicht: Es war zunächst keine Pfarrstelle frei. Sein guter Ruf und seine Freundschaften zu engen Vertrauten von Landgraf Philipp ermöglichten es, dass er im April 1547 vorübergehend eine Pfarrstelle in Allendorf an der Werra antreten konnte. Hier erhielt er die Nachricht aus Schweinfurt, dass seine Frau Gude bei der Geburt des 17. Kindes verstorben war. Er ließ die Kinder nach Allendorf nachkommen. Noch im Todesjahr seiner geliebten Frau heiratete er Eva Bartholomes, die Tochter des Rentmeisters im benachbarten Sooden und ehemaligen Vogts im Kloster Breitenau bei Guxhagen. Im Sommer 1548 verließ Sutel Allendorf, um die auf Drängen des Rates der Stadt Göttingen frei gewordene Pfarrstelle an der Albanikirche anzunehmen.

Albani-Kirche
In Göttingen geriet er in heftige Machtkämpfe. Zum einen trugen es ihm der Superintendent und Teile der Pfarrerschaft nach, dass er einen Amtsbruder verdrängt hatte, zum anderen wurde auf Druck des Kaisers und des Landesherrn die Stadt genötigt, weite Teile der alten Lehre und der Kirchenordnung wieder herzustellen. "Zwist und Haß unter den Predigern und Gemeindemitgliedern" (L. Armbrust) beherrschten die Stadt. Sutel konnte sich des Rückhalts von Teilen des Stadtrates und auch von Melanchthon sicher sein und suchte zu vermitteln. Doch sein Ansehen in Göttingen litt zusehend, "er predigte nur noch vor leeren Bänken" (L. Armbrust). Einer seiner Amtsbrüder griff ihn von der Kanzel aus an, weil er einen psychisch kranken Selbstmörder christlich beerdigt hatte. Schließlich kehrte er der Stadt 1555 endgültig den Rücken und folgte einem Ruf nach Northeim, obwohl ihm 1550 wieder die Stelle des Superintendenten übertragen worden war.
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St. Sixti-Kirche in Northeim
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"Alte Pfarre" - Pfarrhaus in Northeim
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Mittlerweile war auch seine zweite Frau verstorben. Aus dieser Ehe gingen drei Söhne hervor. In Northeim heiratete er die Witwe Gertrud Schleifer. Hier starb er 1575 und wurde in seiner Sankt-Sixti-Kirche vor dem Altar begraben,"arm wie ein Kirchenmäuslein" geblieben (L. Armbrust). Sein Amtsnachfolger, der Chronist Lubecus, bescheinigte ihm, dass er sich hier "allgemeine Achtung und Liebe der Gemeinde" erworben hatte. Sutels Sohn Justus wurde später in Northeim Bürgermeister. Nachfahren Sutels in seiner nordhessischen Heimat sind nicht bekannt.
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